Ein Roman aus dem Milieu der Überflüssigen
»Wenn du es mit Leuten zu tun hast, die dir in den Rücken zu schießen bereit sind, dann vergiß die guten Manieren und sei schneller.« Das ist eine der Lebensmaximen von Beat, der Hauptperson in Franz Doblers neuem Roman »aufräumen«, ein Roman, der von Melancholie und Traurigkeit, von Liebe und Einsamkeit durchzogen ist, also von den wesentlichen Dingen handelt, die das Leben am Abgrund zu bieten hat. Siebzehn Jahre wurde Franz Dobler nach seinem viel beachteten Debüt »Tollwut« (1991) von allen Seiten bedrängt, wieder einen Roman zu schreiben, und als niemand mehr daran glaubte, legt er wie aus der Hüfte geschossen plötzlich und unerwartet ein Buch vor, das einfach nur grandios genannt zu werden verdient. Ein Roman, den man fiebrig wegliest, der ewig so weiter gehen könnte und der nur einen Fehler hat: Daß nach 206 Seiten bereits Schluß ist. Gegen ihn kann die behäbige, in der FAZ vorabgedruckte und an gleicher Stelle beerdigte Literatur der großdeutschen Schriftsteller einpacken. Aber es ist völlig unangebracht, Dobler mit diesen Autoren in einem Atemzug zu nennen, denn man würde ihm unrecht tun, wollte man seine funkelnde Prosa mit der Bügelfaltenliteratur – wie Alfred Döblin Thomas Manns Schreiben charakterisierte – vergleichen, die ein schlechter Maßstab ist. Also vergessen Sie‘s.
Doblers Roman spielt im Milieu des Prekariats, also dort, wo das für den kapitalistischen Prozeß überflüssige Menschenmaterial sein Dasein fristet, dort, wo die vertraglich geregelte Arbeit nicht sehr häufig vorkommt, die Menschen »unter der Radargrenze des vom Existenzministerium festgesetzten Existenzminimums« herumkrebsen und als Objekt der öffentlichen Wahrnehmung nur noch in irgendwelchen belanglosen Statistiken vorkommen. In diesem Milieu geht es nicht sehr zartfühlend zu, denn die Armut ist nicht der geeignete Hintergrund, auf dem sich ausgewogen urteilen und differenziert argumentieren ließe, wenn das Gesetz des Stärkeren sich Geltung verschafft und Recht und Ordnung keinen gesteigerten Wert darauf legen, sich einzumischen. Hier ist ein wenig Cowboy-Land, und das verheißt gleichzeitig auch ein wenig Freiheit, nicht die Freiheit im politisch emphatischen Sinne, aber die Freiheit, die sich einstellt, wenn es keine Reglementierung durch den Arbeitsprozeß mehr gibt, und die Marx die »Freiheit von der Arbeit« genannt hätte. In diesem Land gedeihen keine schönen Menschen und keine Ideale, hier wuchert die Paranoia wie Unkraut, und Angstzustände beißen sich im Genick fest.
Okay, das Leben ist zum Kotzen, wie es bei Leo Malet heißt, aber Beat nimmt es nicht zum Vorwand, sich selbst zu bemitleiden. Beat hat eine Menge auszusetzen an den Verhältnissen – und Dobler trägt eine Menge zusammen, ohne daß die Kritik flach wird oder sich in Sozialkitsch verliert, was den meisten Autoren mühelos gelingt –, aber er macht sie nicht für sein persönliches Schicksal verantwortlich und er erwartet auch nicht, daß ihm irgendetwas von seinen Problemen abgenommen wird.
Was sich zunächst nach einer hardboiled Kolportage mit vielen Leichen anhört, erweist sich bei Dobler als reflektierter Roman, in dem man einige der großen Autoren aus der tough-guy-school wiedererkennt, die amerikanische Tradition, die von Hammett über Bukowski und Hunter S. Thompson bis Kinky Friedman und Jörg Fauser reicht, der ein ähnliches literarisches Koordinatensystem hatte. Dobler ist bei ihnen in die Schule gegangen, aber er imitiert sie nicht, er hat etwas Originäres geschaffen, einen Sound, der unter die Haut geht, eine Prosa, die kompromißlos und manchmal gewalttätig ist und in der Wut, Zorn und Verzweiflung ihre Spuren hinterlassen haben, ohne jedoch ausweglos zu sein und in Tristesse zu versinken, denn gleichzeitig brilliert sie mit Witz und einem Humor, der nicht auf einen Brüller aus ist, wie die das Fernsehen bevölkernden Comedy-Leichen, sondern aus einem dezenten Understatement heraus aufblitzt. Ein Roman, der klingt wie eine dunkel röhrende Harley, die vor dem Start nicht mit dem Motor angeberisch und hektisch aufheulen muß, damit man weiß, daß sie kaum aufzuhalten sein wird.
Franz Dobler, »aufräumen«, Kunstmann, München 2008, HC 206 Seiten