Ob Tilmann Jens es als Sohn von Walter Jens es in seinem Leben eher schwer oder leicht hatte, weiß ich nicht und es ist auch egal. Fest steht, daß Tilmann Jens nie etwas gegen das Tun und Machen seines Vaters einzuwenden hatte, dem Gutmenschen par excellence, der den Betroffenheitskitsch auf hohem Niveau kultivierte, der immer zur rechten Zeit »Wut und Trauer« über was auch immer verspürte, dem es ein wichtiges »Anliegen« war, »die Mauer in den Köpfen einzureißen«, und »verkrustete Strukturen aufzubrechen« war quasi sein Spezialgebiet. Er fühlte sich als »Querdenker«, leistete selbstverständlich »Trauerarbeit«, hatte die »Versöhnung« auf sein Banner geschrieben, und ohne »Vision« hätte er erst gar nicht das Haus verlassen, ein »Vordenker« durch und durch, ein »unbequemer Zeitgenosse«, der »Toleranz« und »Mitmenschlichkeit« predigte. In den achtziger und neunziger Jahren war dies jedoch keine Kunst, das alles zu sein und zu empfinden (und zwar aufs tiefste), denn damals war das quasi Pflicht, wenn man zum Projekt der nationalen Wiedergutwerdung der Deutschen etwas beitragen wollte. Mit anderen Worten, Walter Jens ging einem damals schwer auf den Senkel, denn er konnte nicht gut sein, ohne es an die große Glocke zu hängen, wie zu Beginn des Golfkrieges, als er zwei desertierte amerikanische GIs bei sich beherbergte. Man wußte sofort, Walter Jens hatte die Soldaten nicht versteckt, um sie vor dem Krieg zu schützen, sondern seine Gesinnung unters rechte öffentliche Licht zu stellen und sich als trotzigen und mutigen Widerständler aus Tübingen feiern zu lassen. Ein großes Geheimnis war dabei, wie Walter Jens es zum Professor für Rhetorik bringen konnte, denn wenn seine Reden etwas ausstrahlten, dann bestimmt nicht Überzeugungskraft und Logik, sondern eine Menge reichlich schwammiger Moral, die überdies nicht sonderlich klar strukturiert vorgetragen wurde. Mit theatralischer Gestik und merkwürdigen Grimassen versuchte Walter Jens seinen Argumenten Geltung zu verschaffen, aber man bekam eher den Eindruck, daß da jemand ziemlich wirres Zeug redete, das obendrein holpernd und stotternd vorgetragen wurde. Daß diese Art von Vortrag in Deutschland für Rhetorik gehalten wurde, ist ebenso bezeichnend wie einzigartig auf der Welt, denn nirgendwo gilt für Rhetorik, wenn einer nur Gesichtsgymnastik betreibt.
Archiv für den Monat: März 2008
Roman, Der
Was würden Sie davon halten, wenn bei Ihnen unaufgefordert jemand klingelt und sagt: »Hallo, ich bin der Roman … Bin ja nicht gerade der begnadete Schreiberling, eher der (besserwissende) Rhetoriker – aber heute MUSS es sein, weil ich euch was sagen will, weil es mir ein Herzensanliegen ist, weil mich gerade das dringende Bedürfnis überfällt… äh, was wollt ich eigentlich sagen?«
Die Wahrheit über den 24. Spieltag
Nach dem Spiel machte Thomas Doll im Vergleich zu den letzten Spielen, als er heftigst auf die Schiedsrichter einramenterte, einen entspannten Eindruck und meinte, man hätte mit etwas Glück auch ein Unentschieden erreichen können. Gegen den HSV, der auf die Champions-League-Plätze zusteuert, zu verlieren ist zwar nicht ehrenrührig, aber ein wenig Enttäuschung wäre durchaus angebracht gewesen, auch wenn Hamburg Dolls eigentliche Liebe ist. Immerhin hat sich Dortmund in nicht ganz so desolaten Zustand präsentiert wie zuletzt. Die Niederlage war verdient, aber der BVB hat zumindest versucht, spielerisch dagegenzuhalten, was umso erstaunlicher ist, weil Valdez mitmachen durfte, der zu den Leiden der Fans nicht unwesentlich beiträgt. Über seinem Grab wird einst stehen: »Er bemühte sich.« Wenn man es aber nicht kann, sehen die Bemühungen ziemlich peinlich aus. Trotz Valdez entstand ein munteres Spiel und deshalb ist die Niederlage weniger schmerzvoll als das tröge 1:1 vor einer Woche gegen Hertha. Vielleicht läßt sich die Niederlage auch deshalb leichter wegzustecken, weil sich der Verein auf das Pokalhalbfinale am Dienstag gegen Jena konzentriert. Sogar die angeschlagenen Kehl und Frei wurden für das Spiel des Jahres geschont, das den Dortmundern das Tor zum internationalen Geschäft aufstoßen könnte. Vorausgesetzt Bayern setzt sich in der 2. Partie gegen Wolfsburg durch und wird Deutscher Meister, woran niemand im Ernst zweifeln kann, auch und gerade nach der desaströsen 2:0-Pleite in Cottbus. »Überheblichkeit« wurde den Spielern nach der Partie vom Beißer vom Dienst Kahn attestiert, was den Münchnern zuzutrauen wäre, jedenfalls war eine Menge Lustlosigkeit mit im Spiel, und selten habe ich einen Verteidiger so völlig ohne Elan und Engagement im Strafraum herumtraben sehen wie Van Buyten beim 1:0 von Branko Jelic, der bislang nur auf der Ersatzbank saß und nur durch Zufall ins Team rückte. Die serbische Geheimwaffe machte dann auch noch das 2:0 und die Schmach der Münchner komplett, und es ist ja auch eine schöne Geschichte, wenn ausgerechnet ein Nobody und Fußballsöldner, der zuletzt in der chinesischen Liga kickte, die bekanntlich nicht zu Top-Ligen der Welt gehört, das Starensemble aus München alt aussehen läßt. Auch Hitzfeld schien plötzlich um zehn Jahre gealtert zu sein und fassungslos starrte er mit vors Gesicht geschlagenen Händen auf den Acker von Cottbus. Vermutlich werden die Stars in den nächsten Tagen nicht viel zu lachen haben und wahrscheinlich ist dies die beste Vorbereitung auf das Pokalhalbfinale gegen Wolfsburg, denn gegen die werden sich die Bayernspieler vermutlich drei Beine ausreißen, wenn sie die hätten, denn ich könnte mir vorstellen, daß Hoeneß den Jungs glaubhaft versichert hat, daß sie sonst in seiner Wurstfabrik enden. Und wer will schon so unrühmlich enden? Die Ausrutscher von Bayern sind selten genug, also muß man sich gebührend über sie freuen und Cottbus danken, denn dies ist der einzige Daseinsgrund der Lausitzer in der 1. Liga: Bayern schlagen und danach bitte wieder absteigen.
Die Wahrheit über den 23. Spieltag
Als ich mich Freitag abend durch das Gewühl in der Milchbar quetschte, um mir einen der letzten Barhocker zu ergattern, kreuzte ich die Wege von Sascha, dessen Anwesenheit sich in der Regel an seinen lauten Schreien der Empörung über meist sehr zahlreiche Stümpereien der Schwarzgelben dokumentierte. »Oh nein, ach du Scheiße, das darf ja wohl nicht wahr sein«, und ähnliche präzise die Situation treffende und angemessene Reaktionen auf Düsenlautstärke. Als wir die deprimierende Situation des BVB bekakelten, sagte Sascha, er hätte diese Saison bereits abgehakt, ja er hätte sich in die Milchbar quälen müssen, weil er nichts mehr von dieser Mannschaft erwarte. Unteres Mittelfeld eben. Und entsprechend auffällig still und geradezu introvertiert verhielt sich der Mann, dessen Stimme sonst einen Raum leerfegen konnte. Fatalistisch ließ er den grausamen Kick gegen Hertha BSE, der irgendwie sogar völlig gerecht in einem 1:1 versandete, an sich vorüberziehen, einem Spiel, in dem der Schiedsrichter für das Highlight sorgte, weil er aufgrund eines Mißverständnisses Pantelic vom Platz stellen wollte, die rote Karte dann aber lieber dem Trainer gab. Schade eigentlich, aber immerhin sorgte das mal für Aufregung. Spielerisch herrschte Meister Zufall, und sensationell in diesen eineinhalb Stunden war höchstens die Fehlpaßquote. Aber dem Fan ist das Wurst. In den Fan-Foren wird jetzt bereits das Fell des Bären verteilt, der noch gar nicht erlegt worden ist, weil man wie selbstverständlich davon ausgeht, daß man nächstes Jahr über den Pokal im internationalen Geschäft mitmischt. Aber Jena ist noch lange nicht besiegt und der BVB ist mit der zweitschlechtesten Abwehr alles andere als unschlagbar, und wer weiß, wen die Qualifikation für die Gruppenphase des Uefa-Cups bringt. Sascha fehlt dieser Optimismus, denn er ist aus der guten alten Schule des Schwarzsehers. Und auch sonst ist der Liga nicht gerade Spaß und Spannung abzugewinnen. Die Bayern bauten dank Ribery durch einen Pflichtsieg über den KSC ihren Vorsprung auf sieben Punkte aus, weil Bremen in Stuttgart 6:3 verlor. Das ist deshalb deprimierend, weil Bremen attraktiven Angriffsfußball bot, und zudem völlig überlegen war, jedoch einige Mal zu oft ausgekontert wurde, dabei hatte Stuttgart dem Sturmlauf der Bremer kaum etwas entgegenzusetzen. Bremen ist die einzige Mannschaft in der Liga, die wirklich mal was riskiert und spektakulär spielt, also Spiele zeigt, die man so schnell nicht vergißt. Umso bitterer ist es natürlich, daß solche Runden verloren gehen gegen Mannschaften, deren Trainer solche Sätze sagen wie: »Ein Spiel wie heute muß man eben auch ab und zu mit einem 1:0 über die Runden bringen.« (Doll) Aber solche Spiele will man nun mal nicht sehen. Lieber grandios gespielt und heroisch gescheitert als trotz Hängen und Würgens nicht mal in der Lage zu sein, ein 1:0 zu halten. Und deshalb geht es in der Liga gerade nicht sehr gerecht zu, was nicht immer schlimm ist, wenn es wenigstens die richtigen treffen würden, aber mit Werder trifft es leider die falschen.
Die Wahrheit über den 22. Spieltag
Was nur treibt einen Mann aus der Ü-50-Liga mit einer Nasennebenhöhlenverstopfung und einer damit einhergehenden partiellen Taubheit in eine durch exzessiven Nikotinausstoß vergilbte, ja verklebte, und düsenjägerlaute Kneipe, bloß um sich eine sichere Pleite seiner Mannschaft in Bremen anzusehen? Man weiß es nicht, man steckt nicht drin. Aber da es sich um mich handelt, sieht der Fall natürlich anders aus. Trotzdem weiß ich es nicht, und eigentlich will ich es auch gar nicht wissen. Vielleicht weil es dann doch einen Moment anders hätte kommen können, als nach einem zerfahrenen Beginn in der 18. Minute ausgerechnet der Ballverstolperer Valdez einen präzisen Paß durch die Bremer Abwehr auf Rukavina spielte, der flach in die Mitte auf Petric weiterleitete. Aber diesmal war kein Verlaß auf den Kroaten, obwohl er den Ball nicht einfach vermurkste, sondern genauso traf, wie er in treffen wollte, leider aber bewies der von rosa auf lila umgestiegene Tim Wiese, daß er Bälle nicht nur nicht nur spektakulär fallen lassen, sondern auch halten kann. Aus dem nichts war diese Großchance entstanden. In drei Zügen schachmatt. Aber es wäre unverdient gewesen, auch wenn sich die Bremer lange dem Dortmunder Niveau angepaßt hatten und man sich im Mittelfeld ausufernde Kopfballduelle lieferte. Aber als dann ein regulärer Treffer vom wie immer überall präsenten Dortmunder Mittelfeldmotor Tinga aberkannt wurde, während den Bremern ein Abseitstor zugesprochen wurde, da wußte man, diese Partie wurde nicht von den Spielern, sondern von Markus Merk entschieden, der den Dortmundern sowieso nicht grün ist und der auch nicht durch ein betont lockeres Zwinkern in die Kamera zu Beginn der Partie nicht davon ablenken kann, daß er die aus seinem bürgerlichen Beruf als Zahnarzt herrührende sadistische Ader auch auf dem Spielfeld auslebt. Jedenfalls hätte Dortmund nach 45 Minuten 2:0 führen müssen, aber nach 90 Minuten stand es 2:0 für Bremen, und wie immer war im Dortmunder Spiel nichts zu erkennen, was nach einem Plan aussah, nach einer Handschrift des Trainers, aber dazu laufen auch einfach zuviel Luschen im schwarzgelben Trikot herum. Das einzige, was seit Doll beim BVB eine Konstante ist, ist die Mittelmäßigkeit. Wenigstens hat die Niederlage Dortmunds ein Gutes: Bremen bleibt den Bayern auf den Fersen und hält den Meisterschaftskampf offen, denn sonst hätten die Münchner durch ihren Sieg auf Schalke ihren Vorsprung auf 7 Punkte ausgebaut. »Heute auch Bayern-Fan?«, fragte, nein, befahl die furchterregende Herta hinterm Tresen. Ich traute mich nicht zu widersprechen, aber ich hätte den Schalkern diesen kleinen Triumph aus guten Gründen gegönnt. Aber wer weiß, vielleicht hat die 3. Niederlage der Schalker in Folge ja auch was Gutes, denn die von Präsident Schnusenberg angeleierte Trainerfrage könnte Slomka den Kopf kosten, was nicht schlecht wäre, denn Slomka ist ein Trainer, der von seinem Metier Ahnung hat, und somit das beste, was sich über Schalke sagen läßt.